Um mir selbst Rechenschaft abzulegen, führe ich eine ganz einfache Liste: Für jeden Tag, an dem ich geschrieben habe, mache ich in einen Jahreskalender ein rotes Kreuz. Wenn man nun die Kalender der letzten Jahre nebeneinanderlegen würde, könnte man Ende April 2017 etwas Seltsames bemerken: Von heute auf morgen werden es immer mehr Kreuze. Immer regelmäßiger habe ich geschrieben, von Phasen, in denen Dinge von außen dringend erledigt werden mussten einmal abgesehen, schreibe ich seitdem so gut wie täglich. Ich will euch nicht mit meiner Vorgeschichte langweilen, sondern sage nur: Für mich ist das sensationell.
Was ist passiert? Ende April 2017, also vor gut zwei Jahren, habe ich von Jennifer Louden eine neue Methode kennengelernt, ein Schreibjournal zu führen. Die Methode ist einfach und sehr schnell erledigt, es dauert vielleicht eine Minute, in mein Schreibjournal zu schreiben. Das ist ein Grund, warum sie mir so gut gefällt, denn so bin ich nicht in Gefahr, in das Führen eines Schreibtagebuchs abzutauchen, statt den eigentlichen Text zu schreiben.
Vorteile des Schreibjournals
Mein Schreibjournal bewirkt, dass ich jeden Tag, wenn ich mich an den Schreibtisch setze, genau weiß, was ich zu tun habe. Außerdem weiß ich, ob ich damit fertig geworden bin. Das klingt vielleicht seltsam, aber wenn ich mir nur vornehme „Roman weiterschreiben“, bin ich dann fertig und kann mit meinem Arbeitspensum zufrieden sein, wenn ich 20 Minuten über die Motivation dieser Nebenfigur gegrübelt habe? Ist es okay nach 20 Minuten Rohfassung aufzuhören? Oder nach einer Stunde? Früher war ich nie mit mir zufrieden und dachte stets, ich hätte eigentlich mehr tun müssen. Das hat sich jetzt erledigt.
Drei Schritte für das Schreibjournal
Ein weiterer Vorteil besteht für mich darin, meinen Schreibprozess stetig zu reflektieren. Vor dem Schreiben jedes Textes plane ich, um überhaupt starten zu können. Doch nach dem Start habe ich mich bald, ohne über Los zu gehen, direkt in Konfusion und Panik begeben. Was tue ich hier eigentlich? Das klingt ja schlimm! Wo führt das hin? Was mache ich als Nächstes? Das hat vor allem dazu geführt, nicht voranzugehen, sondern immer wieder den bis zu diesem Knackpunkt geschriebenen Text neu anzugehen, falls ich mich überhaupt noch an ihn herangetraut habe. Mithilfe des Schreibjournals trete ich zwei Schritte von meiner Arbeit zurück und begutachte, was ich gemacht habe und was ich daraus lerne. Dann kann ich planen, was ich als Nächstes mache. Mit diesem Wissen stellt es kein Problem mehr dar morgen weiterzuschreiben.
Wie sieht das Journal denn jetzt aus? Ich führe es in einem Notizbuch, weil ich Notizbücher liebe, aber natürlich geht es genauso gut in einer Datei. Für jeden Tag ist ein Dreischritt notwendig.
Erster Schritt: Eine messbare Aufgabe formulieren
Vor dem Schreiben notiere ich die „einfache Aufgabe“ oder den „simple step“, wie Jennifer Louden es nennt. Auch nach zwei Jahren bleibe ich bei dieser Bezeichnung und nenne es nicht einfach nur „Aufgabe“, weil mich das daran erinnert, wie diese Aufgabe aussehen sollte. Sie muss in den Zeitrahmen passen, den ich an diesem Tag tatsächlich zur Verfügung habe. Ich schreibe ausdrücklich die Zeit dazu, die ich für diese Aufgabe verwenden möchte, denn dann weiß ich, wann ich fertig bin. Man kann natürlich auch eine andere Maßeinheit verwenden, wie zum Beispiel die Seitenzahl. Die Aufgabe selbst muss auch klar und deutlich formuliert sein. „15 Minuten die Szene bei McDonald’s planen. Was ist die schlimmstmögliche Entwicklung für die Figur X?“ oder „60 Minuten die Szene bei McDonald’s schreiben“.
Zweiter Schritt: Den Schreibprozess reflektieren
Nach dem Schreiben notiere ich kurz meine „Reflexion“. Wie ist das Schreiben gelaufen? Was habe ich während der Arbeit Neues über die Geschichte erfahren, was in Zukunft berücksichtigt werden muss? Welche neuen Aufgaben ergeben sich womöglich daraus? Da kann dann zum Beispiel stehen „Ich hatte mich vorher gefürchtet, diese traurige Szene zu schreiben, aber für die Rohfassung ist sie okay.“ Oder mir ist aufgefallen, dass ich noch recherchieren muss, wie die professionelle Bezeichnung für diese Fleisch-oder-was-auch-immer-Dinger auf den Burgern ist. Oder ich weiß jetzt etwas Neues über die Beziehung der Protagonistin, was in einer künftigen Szene entscheidend sein wird. Das alles notiere ich in Stichworten.
Dritter Schritt: Die nächste Aufgabe planen
Dann kommt der dritte Schritt, der darin besteht die nächste Aufgabe zu formulieren. Hier schreibe ich ganz schlicht auf, was morgen meine Schreibaufgabe sein wird. Das hilft mir dabei, das Prokrastinieren zu vermeiden, denn es ist einfacher eine klare Aufgabe anzugehen als einem schwammigen Plan zu begegnen. Weil ich weiß, was getan werden muss, können in einem abgelegenen Eckchen in meinem Hinterkopf bis morgen auch schon mal ein paar Ideen gedeihen.
Ein Journal für viele Gelegenheiten
So sieht mein Schreibtagebuch aus. Im Grunde kann man es nicht nur fürs Schreiben verwenden, sondern diesen Dreischritt auch nutzen, um alle möglichen anderen Projekte anzugehen, bei denen man zum Prokrastinieren neigt.
Wie führst du ein Schreibjournal?
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Vielen Dank für die Idee, welche mich sehr anspricht. Eine Frage habe ich trotzdem, weil mich Schritt 1 und Schritt 3 etwas verwirren. Wenn ich also heute bei Schritt 3 aufschreibe, was ich morgen tun will, was notiere ich dann morgen bei Schritt 1? Die Zeit die ich mir geben will???
Habe da irgendwie einen Knoten im Kopf.
Für eine Antwort wäre ich dankbar.
Herzliche Grüße aus Leipzig
Als Schritt 3 notiere ich mir manchmal mehrere Schritte, die sich aus dem ergeben, was ich heute gemacht habe. Dann suche ich morgen aus, was ich jetzt machen werde.
Oft klingt Schritt 3 heute sehr ähnlich wie Schritt 1 morgen, bloß dass ich erst morgen die Zeit dazu schreibe, weil ich heute noch nicht weiß, wieviel ich davon morgen zur Verfügung habe. Es kann auch sein, dass ich morgen den Schritt präziser formuliere, zum Beispiel von wo bis wo ich weiterschreiben will.
Macht es das klarer?
Herzliche Grüße zurück nach Leipzig!
Dankeschön. Ja, das macht es klarer.