2015 habe ich eine Lesung besucht und mir hinterher ein Buch signieren lassen, weil ich es verschenken wollte. Während ich in der langen Schlange wartete, bekam ich langsam mit, wie der Autor jeden einzelnen fragte „Und, was machen Sie beruflich?“ Hätte ich das zu signierende Buch nicht verschenken wollen, wäre ich sofort aus der Schlange geflohen, denn diese Frage war lange Zeit ein Horror-Moment für mich.

Es war ja nicht so, als ob ich nichts gemacht hätte. Ich war Autorin und Schreibworkshopleiterin. Aber darüber sprach ich lieber nicht, denn Schreibworkshopleiterin ist ja kein richtiger Beruf. Dachte ich.  Niemand hatte mir per Urkunde zertifiziert, dass ich das konnte und durfte. Ja, damals hatte ich tatsächlich das Gefühl, eine offizielle Erlaubnis zu brauchen, dabei hatte ich bereits einen langen Weg zurückgelegt.

Mitte der 90er Jahre: Meine erste Schreibwerkstatt als Teilnehmerin

In meiner ersten Schreibwerkstatt konnte ich erleben, wie meine Hirngespinste so real wurden, dass andere über sie diskutiert haben. Seitdem ist für mich klar, dass eine Form von Veröffentlichung, wie eben das Vorlesen vor fremden Ohren, zum Schreibprozess gehört. Es ist nicht nur ein wichtiger Lerneffekt, wenn man den eigenen Text aus der Distanz betrachten kann und Feedback erhält, es hat auch etwas Magisches, wenn die selbst ausgedachte Figur so besprochen wird, als wäre sie echt. Natürlich war es in diesem Moment auch angenehm, die mit Abstand jüngste Teilnehmerin zu sein und eine Art Welpenschutz zu genießen.

1997: In der Ferienakademie für Jugendliche und junge Erwachsene

Meine nächste Workshop-Erfahrung war die Ferienakademie des Westfälischen Literaturbüros in Unna e. V., die damals noch „Wenn ich mit der Muse schmuse“ hieß und von Brigitte Werner und Jürgen Wiersch geleitet wurde. Damals kamen 20 Jugendliche und junge Erwachsene für eine Woche in Arnsberg zusammen. Tagsüber bekamen wir jede Menge Schreibaufgaben und die Abende bzw. Nächte verbrachten wir in einem Pavillon im wildromantischen Garten, um einander bei Kerzenschein vorzulesen. Ich glaube, ich habe sechs oder sieben Jahre lang an diesem Kurs teilgenommen.

Zu Beginn der 2000er Jahre: Was man an der Uni für ein Leben als Schreibworkshopdozentin lernen kann

Man kann nicht davon ausgehen, während des Studiums der Neueren und älteren deutschen Literaturwissenschaft und Erziehungswissenschaften etwas zu lernen, was später dabei hilft, Schreibworkshopdozentin zu sein. Doch ich hatte Glück! Jahrelang habe ich an der Uni als Tutorin gearbeitet und dabei drei wertvolle Dinge gelernt:

– Vor vielen fremden Menschen reden können.

– Wer gelangweilt aussieht, hört wahrscheinlich nur ganz besonders gut zu.

– Teilnehmer verraten erst ganz am Ende, dass ihnen die Veranstaltung gefallen hat.

Ca. 2005: Zurück zu meiner ersten Schreibwerkstatt

Nach der Uni vollzog mein Leben eine Schleife, denn ich übernahm die Dozentenstelle in der Schreibwerkstatt, die meine allererste als Teilnehmerin gewesen war. Das Tolle war, dass ich dort machen konnte, was ich wollte. Ich habe mir die seltsamsten Schreibanregungen ausgedacht und die Teilnehmer*innen haben alles klaglos mitgemacht. Wir haben auch Lesungen organisiert, zum Beispiel eine mit Texten zu den Bildern von Odilon Redon. Seit damals hängt eine Postkarte von Redon über alle Umzüge hinweg über meinem Schreibtisch.

Bild von Odilon Redon das als Schreibanregung in der Schreibwerkstatt diente
Eines der Bilder von Odilon Redon, das damals in der Schreibwerkstatt als Schreibanregung diente.

2009: Das Kreiseschließen geht weiter und ich kehre zur Ferienakademie zurück

2009 begann ich als Dozentin an der Ferienakademie des Westfälischen Literaturbüros teilzunehmen. Dort trifft man mich seitdem in jedem Sommer an. Längst findet die Ferienakademie nicht mehr in Arnsberg statt, aber das wunderschöne Kultur-Gut Nottbeck, ein früheres Rittergut mit phänomenalem Obstgarten, ist ein würdiger Nachfolger meiner nostalgischen Arnsberg-Erinnerungen.

Das Kulturgut Nottbeck in Oelde, wo während der Ferienakademie die Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche stattfinden

2011: Zurück in die Schule mit dem Klasse(n)buch-Projekt

Ich bekam die Möglichkeit, für das Klasse(n)buch-Projekt des Literaturbüros NRW Schreibworkshops in Schulen anzubieten. Für mich war es ein riesiger Unterschied nun mit bis zu 30 unfreiwilligen Teilnehmer*innen in einem Schulsetting zu arbeiten. Die ersten drei Workshops waren schrecklich, dann hatte ich gelernt, diese Grundsätze anzuwenden:

– Ich leite keine Schreibworkshops in Klassen der Jahrgangsstufen sieben und acht. (Jugendliche in diesem Alter, die freiwillig Schreibworkshops besuchen, sind natürlich willkommen.)

– Eine Lehrkraft muss anwesend sein.

– Ich unterrichte maximal drei Schulstunden am Stück.

2011: Meine ersten Online-Workshops

Mit extrem einfachen Mitteln setzte ich damals meine ersten Online-Workshops um. Die Kurse fanden ganz einfach in einem Forum statt, denn die Technik für Live-Elemente und Videoproduktion gab es damals noch nicht oder sie war für mich unerschwinglich. Sehr schön fand ich damals schon, online Teilnehmer in meinen Kursen versammeln zu können, die von irgendwo auf der Welt mitmachten. Einer befand sich zum Beispiel mal in Südostasien. Diese einfachen Online-Kurse gingen erst einmal bis zu meiner Babypause.

2015: Der Start des Projekts Schreibland NRW

Seit 2015 leite ich auch Workshops des Projekts Schreibland NRW, das ist quasi das Kontrastprogramm zu den Schulworkshops. Ungefähr 14 Kinder und/oder Jugendliche treffen sich freiwillig wöchentlich für insgesamt 15 Stunden. Bislang habe ich seit 2015 in jedem Winter einen Schreibland-Workshop in der Stadtbibliothek Hattingen angeboten, dort wurden die Workshops ganz wundervoll organisiert und begleitet. Am Anfang plagte mich die Sorge, wie ich denn über 10 Wochen hinweg das Interesse der Teilnehmer*innen aufrecht erhalten könnte. Doch irgendwann wurde mir klar, dass die Kinder und Jugendlichen so sehr die Faszination spüren, die vom Schreiben ausgeht, dass ich kaum mehr zu tun brauche, als dieser Faszination nicht im Weg zu stehen.

Das Projekt Schreibland NRW bietet vielfältige Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche

2020/2021: Als alle Seminare digital wurden

Mit der Pandemie wurde mein Seminar „Leseforum: Bücher im Gespräch“ an der Universität Münster zu einem Online-Seminar. Das war sehr einfach umsetzbar. 2021 fand aber auch die Ferienakademie digital statt. Das heißt, von Montag bis Freitag habe ich mit zehn 11- und 12-jährigen dreißig Stunden lang einen Schreibworkshop absolviert. Und es hat funktioniert! Selbst die soziale Komponente kam nicht zu kurz, Freundschaften entstanden.

2021: Online-Schreibworkshops für Kinder

Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind fragte an, ob ich nicht Online-Workshops für Kinder geben könnte. Daraus entstand das aktuelle Format von drei neunzigminütigen Workshopterminen, bei denen die Kinder schreiben und auf Wunsch Feedback zu ihren Texten erhalten.

2021: Mein erster Videokurs

In Marlis Schorchts Kurs „Create it!“ habe ich von der ersten Idee bis zum Marketing gelernt, wie man Mini-Produkte erstellt und auch, wie man Videokurse gestaltet, die ein echtes Kurserlebnis bieten. Daraus hervor ging mein Kurs „Schreiben statt prokrastinieren“, in dem es darum geht, eine individuelle Schreibroutine aufzubauen.

Heute!

Ich bin dabei die Zahl der Präsenz-Workshops zu verringern, indem ich mein Angebot an Videokursen und anderen kleinen Produkten für Autor*innen jeden Alters steigere, denn ich brauche mehr Zeit zum Schreiben und für die Familie.

Wenn mich heute jemand fragt, was ich beruflich mache, habe ich kein Problem damit zu antworten. „Ich bin Autorin und leite Schreibworkshops.“ Mir fehlt keine Urkunde mehr. Es hat lange gedauert, bis mir selbst klar war, was für eine Menge Erfahrungen ich gesammelt habe mit den unterschiedlichsten Themen und Kursformaten, die ich hier gar nicht alle erwähnen konnte: der Überarbeitungs-Workshop mit einer sehr speziellen Methode, Biografisches Schreiben für Ältere, der Schreibworkshop auf Englisch …. Das war eine lange Ausbildung und sie geht glücklicherweise immer weiter.

About the Author Pia

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