Mein Exemplar von Marion Gays Buch „Türen zur Fantasie“ sieht schlimm aus. Es ist angestoßen und verknickt, weil ich es immer dabeihabe, wenn ich zu mehrtägigen Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche fahre. Damit bin ich jederzeit gerüstet, wenn ich noch eine zusätzliche Schreibanregung aus dem Hut zaubern muss. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass nun „Türen zur Poesie*“ erschienen ist. Dieses Buch von Marion Gay enthält 100 Schreibspiele, die rund um das große Thema Lyrik kreisen.
Freude an der Sprache vermitteln
Jugendliche und Lyrik, kann das gut gehen? Und dann womöglich noch im schulischen Rahmen, also in einem Schreibworkshop, den sich die Teilnehmer nicht freiwillig ausgesucht haben? Doch, das geht, denn die Autorin ist so weit wie nur möglich davon entfernt, Teilnehmer mit Begriffen wie Versfuß oder Versmaß zu traktieren. Stattdessen sind die Übungen darauf angelegt „Freude am freien Ausdruck“ und „Spaß am Experimentieren mit Buchstaben und Wörtern“ zu vermitteln, wie Marion Gay im Vorwort schreibt.
Gewohnt anwenderfreundlich steht bei jeder Schreibanregung für welches Alter (in etwa) sie geeignet ist und wie viel Zeit dafür eingeplant werden sollte.
Schreibanregungen von Haiku bis Beschwerdebrief
Ein Teil der Aufgaben regt dazu an, tatsächlich Gedichte zu schreiben. Lustige Limericks, Haikus oder Reimgeschichten kommen dabei vor. Andere Aufgaben sind in der Form, die sie hervorbringen, noch freier und vermitteln Freude an der Sprache und ein Gespür für Wörter, dazu gehören die Übungen kreative Grabsprüche erfinden, unsinnige Beschwerdebriefe schreiben oder das Sammeln schöner Tiernamen.
Ich finde es spannend, die kurzen Aufgaben am Ende eines Workshoptermins einzusetzen, wenn die Teilnehmer bereits müde sind und verrückte Ideen eine gute Chance haben, am inneren Zensor vorbei an die Oberfläche zu flutschen.
Rilke und Horoskope
Gut, ich habe deutlich länger als eine Stunde gebracht, um zwanzigmal für meine Teilnehmer Rilkes Panther in seine einzelnen Wörter zu zerschneiden und jeweils in ein Tütchen abzufüllen. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Aus diesem Second-Hand-Material können die Schüler kurze eigene Gedichte bauen. Die Beschränkung auf die überschaubare Wortmenge macht es leichter etwas Neues zu gestalten.
Sehr gut kamen bisher auch die fiktiven Horoskope an. Dabei denken sich die Teilnehmer neue Sternzeichen aus und verfassen dafür eine eigene Vorhersage. Das kann dann so aussehen:
Sternzeichen Nilpferd
Für dich ist alles im Fluss. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Auch nächste Woche werden wieder knackige Zweibeiner schwimmen gehen. Schnapp sie dir!
„Türen zur Poesie*“ ist ein wertvoller Ratgeber für fantasievolle Schreibanregungen. Auch Workshopleiter, die mit Erwachsenen arbeiten, werden davon profitieren. Ehrlich gesagt beginnt auch mein Exemplar bereits, ziemlich zerknickt und zerlesen auszusehen.
Marion Gay: Türen zur Poesie*. Gedichte schreiben im Unterricht mit 100 Schreibspielen. Autorenhaus Verlag 2019.
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